Das Fasten und Fasten-Wandern als Teil der natürlichen Ordnung
Fasten-Wandern – das ist so alt wie die Menschheit, ja wesentlich älter. Auf der Suche nach Nahrung streiften Tiere wie Menschen seit eh und je durch ihre Reviere. Wie oft fanden sie dabei kaum etwas oder nichts, oder sie gaben das wenige, das sich ihnen bot, den Kindern, die ja im Wachsen waren. Wir können auch an die Volksstämme denken, die wegen irgendwelcher Naturkatas-trophen oder kriegerischer Einfälle unterwegs waren, oder an die vielen Heere, die über diese Erde dahinzogen. Wie häufig war keine Nahrung zu finden – und trotzdem, oder gerade deshalb, ging es weiter. Unser Körper ist genetisch auf das Fasten-Wandern programmiert. Er kann auf Nahrung verzichten und hat die Möglichkeit, sich sehr schnell auf die Verwertung der im Körper eingelagerten Nahrungs-Reserven umzustellen. Gewöhnlich merkt der Mensch diese Umstellung überhaupt nicht – er hat einfach keinen Appetit mehr. Besonders wenn unser Körper in Gefahr ist, sei es auf der Flucht oder bei einer Krankheit, stellt er sich auf diese innere Ernährung ein. Verdauen ist harte Körperarbeit, die wir wunderbarerweise jedoch kaum spüren. In Krisensituationen wird die im Körper vorhandene Energie jedoch soweit wie möglich auf die Rettung des Lebens konzentriert. Besonders erstaunlich ist das Fasten-„Wandern“ bei den Zugvögeln. Einige Vogelarten fliegen eine oder sogar zwei Wochen lang über die riesigen Ozeane und nehmen dabei weder feste noch flüssige Nahrung zu sich. Wir wissen, dass der Igel seinen Winterschlaf hält. Und in den Wüsten Kaliforniens gibt es Frösche, die sich jahrelang tief unter der Erdoberfläche aufhalten.
Fasten als kulturelle Einrichtung
Die Umstellung auf die Reserve-Depots dient nicht nur dem Überleben. Der Verzicht auf feste Nahrung unterstützt auch die Reinigungs- und Ausscheidungsprozesse, stabilisiert das Immunsystem, fördert die Heilungsprozesse, hilft uns, besser mit Konflikten fertig zu werden, macht uns in vieler Hinsicht sensibler, regt unsere Aktivität an, und lässt uns geistig wacher werden.
Diese positiven Fasten-Wirkungen waren sicherlich einer der Hauptgründe, warum immer wieder weise Personen das regelmäßige Fasten in den Kulturen und Religionen als Ordnung einführten. Ganz abgesehen davon, dass es eine gute Übung und Vorbereitung für Krisenzeiten ist, z.B. für die Flucht oder wenn keine Nahrung vorhanden ist.
Fasten-Wander-Beispiele aus der Zeit vor der Fasten-Wander-Bewegung
Vom Volk der Hunza im Himalaya wird berichtet, dass sich der eisige Winter nicht nur über sechs Monate hinzog, sondern dass auch die harte Feldbestellung in das Ende der „Fastenzeit“ fiel. – Auch wird von Mahatma Gandhi erzählt, dass er während seines Protest-Fastens von Dorf zu Dorf zog und dort seine aufrüttelnden Ansprachen hielt.
Dr. Lennart Edrén – Die Idee der Fasten-Märsche wird geboren
Das Fasten-Wandern, wie wir es praktizieren, beginnt mit dem schwedischen Zahnarzt Lennart Edrén. Als Jugendlicher hatte er wegen seines großen Milch- und Käsekonsums den Schulterbereich und das Gesicht voller Eiterbeulen. Weder sein Vater, der Arzt war, noch die bedeutendsten Haut-Spezialisten in Stockholm konnten ihm helfen. Erst als Lennart das Ehepaar Waerland kennenlernte und dank ihrer Hilfe zum reinen Vegetarier wurde, hörten die Eitergeschwüre auf. Durch Frau Ebba Waerland wurde Lennart Edrén auch zum Fasten angeregt und schied dabei über Jahre den im Körper angesammelten Dreck und Eiter aus.
Aus Dankbarkeit wollte er Ebba behilflich sein, dem Fasten als Heilmittel mehr Anerkennung zu verschaffen, denn das Fasten wurde von den Medizinern nicht nur ignoriert, sondern sogar bekämpft. Als erstes sollte der Nachweis erbracht werden, dass Fasten völlig unschädlich sei – nur wie?
Lennart war Zahnarzt und hatte während des Fastens beim Stehen immer wackelige Beine. Eines Morgens fing er während des Fastens wieder damit an, seine Dauerläufe zu machen – und siehe da, seine Beine fühlten sich den ganzen Tag über stark. Ja, während des Fastens lief er sogar seinem mitlaufenden Nachbarn davon, was er vorher nie geschafft hatte.
Diese Erfolgserlebnisse brachten Lennart auf die Idee, mit einer Gruppe einen Fasten-Marsch von Göteborg bis Stockholm (520 km) in zehn Tagen durchzuführen. Auf diese Weise wollte er die Unschädlichkeit und die positiven gesundheitlichen Auswirkungen des Fastens nachweisen. In der Tat, unter den Vegetariern fand er zehn Mitmarschierer. Das war 1954. Begeisterter Empfang in Stockholm, trotzdem: Ziel nicht erreicht. Denn die Einstellung zum Fasten änderte sich weder in der Medizin noch in der Bevölkerung.
Die Idee der Fasten-Märsche wird von anderen aufgegriffen
Zehn Jahre später führte Lennart Edrén seinen zweiten Göteborg-Stockholm-Marsch durch, und dieses Mal war ein junger Arzt dabei. Dr. Karl-Otto Aly berichtete nicht nur über diese Fasten-Märsche, so dass sie über Schweden hinaus bekannt wurden, sondern er führte auch selber einen durch. Andere, die die Idee der Fastenmärsche von Lennart Edrén aufgriffen und durchführten, sind der Schwede Roland Arnecksson, der mit seiner Tochter Johanna jährlich einen Fastenmarsch anbietet, der fränkische Zahnarzt Dr. Willi Berger, der auch einige Nachfolger fand, und der holländische Arzt Han Marie Stiekema, der die Idee umwandelte und mit Gruppen spirituelle Fasten-Stadtumrundungen durchführte, um auf die Probleme der Umwelt und der damit verbundenen Gefahren für die Menschen hinzuweisen.
Der Pionier des Fasten-Wanderns – Christoph Michl
Wenn wir jedoch an die heutige Fasten-Wander-Bewegung in Deutschland und Europa denken, müssen wir in erster Linie das Engagement von Christoph Michl aus Horneburg bei Hamburg erwähnen. Christoph, eigentlich Pastor, der aus Gewissensgründen jedoch nie in den Kirchendienst trat, sondern sich als Volks-, Real- und Oberschullehrer ausbilden ließ, war 10 Jahre lang im Schuldienst.
Mit etwa 26 Jahren fiel Christoph ganz plötzlich in eine bleierne Müdigkeit, von der er erst Jahre später durch ein Besinnen auf pflanzliche Rohkost, besonders aus biologischem An-bau, wieder frei wurde. Bei der Suche nach gesunder Nahrung stieß er in einem Natur-kostladen auf das Büchlein von Werner Zimmermann „Heilendes Fasten“. Er fastete jetzt nicht nur, sondern fing auch an, Fasten-Märsche durchzuführen, von denen in diesem Büchlein berichtet wurde, um seine Gesundheit zu stabilisieren.
Um im Rahmen seines Umweltschutz-Engagements seine Fasten-Märsche zu nutzen, protestierte er mit diesen gegen den Autobahnbau, gegen die Chemie-Industrie und gegen die Ausplünderung der Dritten Welt. Gleichzeitig wollte er bei seinen Hunger-märschen nach Bonn, Hamburg, Hannover, Köln, Frankfurt, München, Stuttgart, Brüssel, London und Paris auf die Möglichkeiten des menschlichen Körpers, eine gesunde Lebensweise, den biologischen Landbau und die Naturheilkunde aufmerksam machen. 1983 gab er das Buch „Fastenaktionen – Hungermärsche“ heraus, in dem er seine bisherigen Fasten-Erfahrungen und gesellschaftlichen Ideen vorstellte. Gleichzeitig gab er seinen Lehrerberuf auf, weil er spürte, dass eine neue Aufgabe auf ihn wartete.
Die ersten Gruppen-Fasten-Wanderungen in Deutschland
Aufgrund seines Buches wurde Christoph Michl während der Fasten-Zeit 1984 zum Fernseh-Gesundheitsmagazin „Die Sprechstunde“ mit Frau Dr. Schäfer-Kühnemann zu einem Gespräch eingeladen. Daraufhin kamen die ersten Anfragen. Pfingsten 1984 führte Christoph seine erste Gruppenfastenwanderung im Schwarzwald durch. Die erste Überland-Fasten-Wanderung ging im Herbst des gleichen Jahres mit etwa 30 Personen von seinem Heimatort Horneburg bei Hamburg durch die Lüneburger Heide ins Weser-bergland zur Buchinger-Fasten-Klinik in Bad Pyrmont.
Christoph übernahm zwar die Idee von Lennart Edrén, legte seine Wanderungen jedoch von der Straße sofort in die Natur und kürzte die Tagesstrecken auf etwa die Hälfte. Es war zuerst sehr schwierig für ihn, Interessierte zu finden. Selbst der Kneipp-Landes-verband Niedersachsen distanzierte sich von ihm und erklärte das Fasten-Wandern für gesundheitsschädlich. Trotzdem machte Christoph, der innerlich dazu angetrieben wurde, unverdrossen weiter. Dabei wurde er über viele Jahre von Anna Preisler, die über das Fasten-Wandern versuchte, ihre Krebskrankheit zu heilen, und die von den Gruppen als Seele der Veranstaltungen empfunden wurde, tatkräftig unterstützt.
Das Fasten-Wandern wird zu einer Bewegung
Mit Christoph Michl wurde das Fasten-Wandern zu einer Bewegung. Bald griffen andere diese Idee auf und führten selbstständig Fasten-Wanderungen durch, sei es als Hobby (z.B. der Elektrikermeister Karl Bürk aus Geisingen), sei es ergänzend zu ihrem bisherigen Beruf als Seminarleiter oder Heilpraktiker (z.B. Mathias Hartmann aus Passau) oder sei es hauptberuflich (Erwin Bach, Peter Dreizler).
Als erste übernahm die schweizer Gesundheitszeitung „Sonnseitig leben“ diese Idee und hatte anfangs damit in der Schweiz mehr Erfolg als Christoph Michl in Deutschland. Diese Aktivitäten waren auch der erste Ableger im Ausland. Bald darauf wurde der erste Fasten-Wander-Verein in Luxemburg von Gilbert Schaltz gegründet. 1987 erfolgte die Vereins-gründung in Deutschland.
Nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze ließ Christoph Michl in Berlin und in der DDR 10 000 Handzettel verteilen, auf denen er den DDR-Bürgern seine Fasten-Wanderungen kostenlos anbot. Viele kamen mit und verbreiteten diese Idee in der DDR und später in den neuen Bundesländern. Eine der DDR-Teilnehmerinnen fuhr nach einer Veranstaltung zu Verwandten nach Frankreich (Gisbert und Gertrud Bölling), die diese Idee aufgriffen und auf ihrer Pferdezucht in den Alpen jetzt mit Franzosen Fasten-Wanderungen durchführen. Sie tun es das ganze Jahr über, inzwischen mit großem Erfolg.
Fasten-Wanderungen werden in fast allen europäischen Ländern einschließlich der Azoren angeboten, ebenso in Nord-Afrika, Israel, Arabien, Südamerika und dem Himalaya – fast ausschließlich von deutschen, schweizerischen, österreichischen und luxemburgischen Anbietern. Meist handelt es sich um Einzel-Veranstalter, aber auch von Gesundheits-verbänden, Krankenkassen und Kirchen ist diese Idee aufgegriffen worden. Keiner hat jetzt mehr einen Überblick über die Ausbreitung und Praktizierung dieser Idee. Vielleicht liegt man nicht verkehrt, wenn man 200 Anbieter und 8000 Teilnehmer jährlich annimmt. |